„Kinder lernen leichter und schneller als Erwachsene“ – wer diese Binsenweisheit hinterfragt, wird zugeben müssen, dass nur umgekehrt ein Schuh daraus wird: Erwachsene tun sich schwer und stehen sich beim Lernen mit ihren Erwartungen und Projektionen selbst im Weg. Es ist die Art und Weise wie geübt wird, mit der sich die Kinder ihre Welt erobern, die es für uns Erwachsene so leicht scheinen lässt. Im Unterschied zu uns Erwachsenen lassen sich Kinder beeindrucken, sind neugierig und provozieren kreativ Unterschiede – sie bewegen sich selbst um stets neue Erfahrungen zu sammeln mit ihrem unermüdlichen Forschergeist. So gesehen üben Kinder nicht den ganzen Tag – sie forschen den ganzen Tag. Kinder freuen sich auf und sind dankbar für jeden Moment, der anders ist, als der vorangegangene – sie führen einen Dialog mit den Dingen und Phänomenen dieser Welt. Wir Erwachsene dagegen konstruieren und projizieren uns „unsere“ Welt voller Erklärungen, Ideologien und liebgewordener Gewohnheiten – und rechtfertigen diese. Wir sind voller Erwartungen oder Sorge vor dem nächsten Moment, der anders sein könnte – wir führen eher Monologe. Wir glauben, es wäre in erster Linie wichtig, was geübt wird, denn wir wissen ja bereits, was am Ende herauskommen soll. Mit dieser „erwachsenen“ Art“ muss es schwer fallen, irgendetwas zu lernen. Auf eine Kurzfomel gebracht: Kinder differenzieren, Erwachsene konstruieren ihre Welt.
Alle Menschen, groß und klein,
Spinnen sich ein Gewebe fein,
Wo sie mit ihrer Scheren Spitzen
Gar zierlich in der Mitte sitzen.
Wenn nun darein ein Besen fährt,
Sagen sie, es sei unerhört,
Man habe den größten Palast zerstört.
Goethe (Westöstlicher Divan)
Ein Ansatz und eine Vorgehensweise, die natürlich, philosophisch (im Sinne von fragend) und entfaltend arbeiten, dürfen und sollten sich an den Eroberungsstrategien der Kinder orientieren: Natürlich, weil die Kinder ihre Strategie bereits auf die Welt mitbringen. Philosophisch, weil Kinder stets neue Fragen aufwerfen. Und entfaltend, weil Kinder eine breite, vielschichtige und öffnende Ausbildung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten anstreben. Wenn es gelingt, die naturgegebenen Strategien der Entfaltung zu stimulieren, lernen Erwachsene ebenso „leicht“, wie es Kindern gern unterstellt wird.